Einführung

Das Problem:

Es beginnt die erste Musikstunde in einer 10. Klasse. Das letzte Halbjahr. 5 Schüler kommen zu spät. Sie sind laut, reden miteinander, beachten mich nicht, reagieren nicht auf Ansprache, sondern werden frech und respektlos.

Ich würde ja jetzt ganz gerne mal mit dem Musikunterricht anfangen. Ich will eigentlich Schülerinteressen aufgreifen. Wir können mit Keyboards Popmusik nachspielen. Wir haben Mikrofone zum Singen. Nur komme ich nicht dazu, weil mir gerade mein Unterricht aufgemischt wird.

Jetzt kann ich entscheiden, ob ich mich mit den großen Kerlen anlege, von denen ich schon weiß, dass sie nicht ganz einfach sind. Auch sind sie als Gruppe so massiv, dass der Rest der Klasse dagegen völlig unauffällig ist.

Ich nehme den Kampf auf, da ich sonst den Rest des halben Jahres entnervt aus dieser Stunde gehen müsste.

Die Konfrontation:

Den Größten, der mir der Anführer zu sein scheint, stelle ich erstmal kurzzeitig vor die Tür. Seinen „Adjutanten“ bitte ich nach vorn. Mein Ziel: er soll aufhören zu grinsen, soll mich ernst nehmen und als Mensch und nicht als rotzfrecher Schüler mit mir reden. Ich will eine Vereinbarung, in der er und ich (und damit der Rest der Klasse) einen respektvollen Umgang festschreiben. Und ich will, dass er sich an meine Regeln hält.

Als Erstes soll er gerade vor mir stehen, er soll mich anschauen, Hände aus den Taschen. Auch ich stelle mich aufrecht hin. Ich will Kontakt. Er soll mich wahrnehmen. Er vermeidet aber genau das. Und solange kann ich reden, was ich will – er wird es nicht hören. Also versuche ich weiter seine Haltung zu verändern und er soll mich anschauen. Ich signalisiere, dass ich keine Angst vor ihm habe und noch einiges an Handlungsmöglichkeiten in der Hinterhand.

Nun bringt er Ausflüchte und Entlastungsversuche. Das letzte, was er will, ist, die Verantwortung für sein Verhalten zu übernehmen: „Alle reden doch!“; „Warum immer ich?“; „Sie können sich wohl nicht durchsetzen?!“; „Wir sind eben eine tolle Klassengemeinschaft!“; „Wenn Sie so langweiligen Unterricht machen ….!“.

Ich gehe auf diese Tricks nicht ein, sondern beginne, kurze Fragen zu stellen, die er nur mit Ja oder Nein beantworten kann. Ich drehe den Spieß um und hebel jeden seiner Ablenkungsversuche aus. Ich fixiere ihn, ohne ihn nur einmal anzufassen. Als er hilfesuchend zu den Mitschülern schaut, drehe ich ihn einfach Richtung Tafel.

Die Wandlung vom Konflikt zur Vereinbarung:

Als er langsam merkt, dass das hier noch lange weitergehen kann, wenn er nicht einlenkt, beginnt er mehr und mehr zu kooperieren.

Jetzt kann ich die Schärfe herausnehmen und wirklich Kontakt mit ihm aufnehmen. Am Ende, es sind inzwischen 20 Minuten vergangen, geben wir uns die Hand. Dieser Kampf ist entschieden und ich weiß, dass er und ich nicht wieder aneinandergeraten werden. Wir haben eine Basis gefunden, die in Zukunft halten wird. Alle anderen, auch die „schlimmen Finger“, haben gelernt, dass Kooperation mehr bringt als die Auseinandersetzung. Die ist einfach zu langwierig und zu kostenintensiv, der Preis ist zu hoch.

Der „Chef“ der Gruppe hat von der Auseinandersetzung nicht viel mitbekommen. Trotzdem: in den nächsten Stunden kooperiert auch er. Ab und zu nehme ich ihn außerhalb des Unterrichts zur Seite und spreche verbindlich und freundlich mit ihm.

© Friedrich Kampmann 2024